Die Geschichte von Spirituals & Gospel

Improvisation unter Freunden

Spir­i­tu­als waren die Lieder, welche die Sklaven im All­t­ag san­gen. Sie ent­standen in freier Impro­vi­sa­tion und wur­den mündlich über­liefert. Eine typ­is­che Entste­hungs­geschichte von einem unbekan­nten Schwarzen:

Ich will Ihnen sagen, wie das geht. Mein Mas­sa ruft mich zu ihm und sagt, dass meine Ration gekürzt wird, und ich kriege 100 Schläge mit der Led­er­peitsche. Meine Fre­unde sehen das und haben Mitleid mit mir. Als sie an dem Abend zu unserem Tre­f­fen kom­men, sin­gen sie davon. Und manche guten Sänger sind dabei, die kön­nen das. Und sie brin­gen das rein, ver­ste­hen Sie, brin­gen das ein­fach rein, bis es richtig ist. Und dann sin­gen die anderen mit, als wenn sie den Song schon lange kan­nten, aber sie haben ihn nie vorher gehört. So geht das.”

Die Vielschichtigkeit der in den Liedern vorhan­de­nen Poe­sie lässt sehr unter­schiedliche Deu­tun­gen zu. Zum einen ste­hen Anspielun­gen auf die soziale Sit­u­a­tion neben der Jen­seits­gläu­bigkeit. Der Aufruf zum Protest ste­ht neben der Sehn­sucht nach Frei­heit. Der Glaube an Jesus ste­ht neben dem Bedurf­nis nach einem Führer zur Erret­tung aus der Sklaverei.

Spirituals bedeuteten für jeden etwas anderes

Es ist anzunehmen, dass ein Spir­i­tu­al-Text bei den Erweck­ungsver­samm­lun­gen im Jahr 1810 (dem Wood­stock der Sklaven) einen anderen Sinn gehabt hat als der gle­iche Text in der Zeit der Sklaven­be­freiung 1865. Wir dür­fen sog­ar annehmen, dass er für ver­schiedene Mit­glieder ein­er Gemeinde im gle­ichen Gottes­di­enst unter­schiedliche Bedeu­tung hatte.

Seit die Sklaven in Ameri­ka anka­men, lebten sie zu jed­er Zeit auf mehreren Exis­ten­zebe­nen: als Afrikan­er mit genau umris­se­nen tra­di­tionellen Sit­ten und Gebräuchen, als Plan­ta­gen­sklave mit Gehor­sam­spflicht und als Pro­jek­tions­fläche für das Klis­chee, das sich der Weisse von ihm gemacht hat­te. Um über­leben zu kön­nen, pen­del­ten die Afrikan­er ständig zwis­chen ver­schiede­nen Exis­ten­zebe­nen hin und her. Dabei entwick­elte sich der “dou­ble talk” — die Rede auf mehreren Sin­nebe­nen gle­ichzeit­ig. Die Dop­peldeutigkeit gewiss­er Lied­texte mag ihren Ursprung darin haben.

Das Schicksal der Sklaven in den USA

Heuti­gen Schätzun­gen zufolge wur­den in 250 Jahren zwis­chen 8 und 11.5 Mil­lio­nen Sklaven nach Ameri­ka ver­schleppt. Erst mit dem 1865 rat­i­fizierten Gesetz fand die Sklaverei ein juris­tis­ches Ende, während die gesellschaftliche Hal­tung Schwarzen gegenüber noch lange danach zwiespältig blieb.

Peitsche und Messer zur Disziplinierung

Die Arbeit auf den Tabak- und Baum­woll-Plan­ta­gen war hart. Kle­in­ste Verge­hen wur­den streng geah­n­det. Bestra­fun­gen mit Peitsche waren häu­fig, das Mess­er wurde weniger häu­fig einge­set­zt. Die weis­sen Besitzer mussten wohl häu­fig in Furcht vor einem Auf­s­tand leben. Zwis­chen 1670 und 1865 gab es 130 bewaffnete Auf­stände durch Sklaven.

Fluchtgedanken waren ver­mut­lich immer präsent, doch der Weg aus dem Süden ins freie Kana­da war weit und beschw­er­lich. Ab 1838 organ­isierten Geg­n­er der Sklaverei die “Under­ground Rail­road” — einen Flucht­plan mit Schutzhäusern, Fluchthelfern und geheimen Kom­mu­nika­tion­s­mit­teln. Eine Kom­bi­na­tion von Step­pdeck­en­sym­bol­en und Gesän­gen teilte Inter­essierten das Wann, Wo und Wie der organ­isierten Flucht­en mit.

Underground Railroad

1849 entsch­ied sich die damals 29-jährige Sklavin Har­ri­et Tub­man nach ihrer erfol­gre­ichen Flucht dafür, Fluchthelferin bei der “Under­ground Rail­road” zu wer­den. Sie wurde zu ein­er Berühmtheit. Ihr Code­name war “Moses”, was weit­eren Inter­pre­ta­tion­sraum lässt für Spir­i­tu­al­texte aus dieser Zeit. Haupt­säch­lich waren Spir­i­tu­al­texte religiösen Inhaltes und keine Geheimsprache

“Wade In The Water” Such­hunde kon­nten die Spur nicht mehr find­en, wenn ein Flüchtiger durchs Wass­er gegan­gen war
“Steal Away” Auf­forderung zur Flucht
“Swing Low, Sweet Chariot” Der himm­lis­che Wagen als Sym­bol für die “Under­ground Railroad”
“Go Down, Moses” Hin­weis auf die real existierende Fluchthelferin Har­ri­et Tubman

Die Religion der Sklaven

In schwarzen Gottes­di­en­sten ist der afrikanis­che Ein­fluss unverkennbar. Wenn die Sklaven nach Ameri­ka kamen, bracht­en sie ihre Über­liefer­un­gen, ihren Mehrgottglauben und die religiöse Ekstase mit.

Der Anteil Chris­ten unter den Sklaven war zu Beginn sehr klein. Wohl gin­gen die Sklaven son­ntags mit ihren Besitzern in die Kirche, doch die Predigten dürften sie kaum berührt haben. Erst als sich religiöse Gelehrte in Ameri­ka darauf einigten, dass Chris­ten sehr wohl Sklaven sein durften, war der Weg für die Mis­sion­ierung geeb­net. Methodis­ten und Bap­tis­ten kamen mit ihrer boden­ständi­gen Art des Gottes­di­en­stes bei den Sklaven beson­ders gut an.

Gottesdienste mit Musik, Tanz und Gesang

Die Lei­dens­geschichte Jesu berührte die Sklaven sehr. Bald ent­standen eigen­ständi­ge schwarze Kirchen, die afrikanis­che Reli­giosität mit der christlichen Lehre ver­mis­cht­en. Da Musik, Tanz und Gesang untrennbar mit dem afrikanis­chen All­t­ag ver­bun­den waren, wur­den sie zu einem wichti­gen Bestandteil der schwarzen Gottes­di­en­ste. In der rhyth­mis­chen Zwiesprache des Predi­gers mit der Gemeinde entwick­el­ten sich spon­tan Lieder, die einen Bibel­text als zen­trales Ele­ment hatten.

Trommel- und Tanzverbot

Sobald der weisse Klerus Gottes­di­enst-Ele­mente als hei­d­nisch erkan­nte, wur­den sie ver­boten. So ver­schwan­den der Tanz, das Trom­meln, die Fetis­che und Altäre. Aus dem Trom­meln wurde das Klatschen oder Stampfen, Rhyth­mus fand sich im gesproch­enen wie im gesun­genen Wort. Die Inten­sität der Gottes­di­en­ste wurde wurde denn auch nicht durch das Chris­ten­tum her­vorgerufen, son­dern kon­nte in einen Raum ein­drin­gen, in dem seit Jahrun­derten jede Reli­gion­sausübung mit solch­er Inten­sität betrieben wor­den war. Reli­gion in sich zu kriegen, war ober­stes Ziel.

Die afrikanischen Wurzeln

Im tra­di­tionellen Afri­ka fand das Musizieren grund­sät­zlich in der Gemein­schaft statt; die Tren­nung von Inter­pre­ten und Zuhör­ern war nicht bekan­nt. Musik und Tanz gehörten zusam­men. Musik war eng mit allen Vorgän­gen im Leben der Gemein­schaft ver­woben. Wir ken­nen Arbeit­slieder, religiöse Tänze und Gesänge, Wiegen­lieder, ero­tis­che Tan­zlieder, Bal­laden und Märchen­lieder, Kriegs­gesänge, Liebeslieder und viele andere, die mit ganz bes­timmten Hand­lun­gen, Vorgän­gen oder Absicht­en verknüpft sind. Man kann ohne Übertrei­bung sagen, dass das Leben in Afri­ka von der Geburt bis zur Toten­feier von Musik, Gesang und Tanz begleit­et war.

Der afrikanis­che Rhyth­mus ist von ein­er grossen Kom­plex­ität. Afri­ka ken­nt kaum eine melodis­che Entwick­lung. Entsprechend wer­den beim Gesang kleine Motive vari­iert oder wieder­holt. Alles ist Impro­vi­sa­tion, die Phrasen des Vorsingers wer­den entwed­er vom Chor wörtlich oder mit eige­nen Phrasen beantwortet.

Klang von zart bis expressiver Ekstase

Die Skala der Klang­far­ben und Klang­möglichkeit­en enthält alle Zwis­chen­stufen von ein­er auch für europäis­che Ohren angenehmen Weich­heit und Zartheit bis zum expres­siv­en, eksta­tis­chen, rauhen und unreinen Schrei. Diese Bre­ite der Verän­der­lichkeit von Ton blieb auch in den afro-amerikanis­chen Musik­for­men erhalten.

Geschichte des Gospel

Das Wort “Gospel” bedeutet “Evan­geli­um”: Das Wort Gottes wird durch die religiösen Texte und die Musik ver­bre­it­et. Es gibt drei Unter­schiede zwis­chen Spir­i­tu­al und Gospel.

  1. Die Spir­i­tu­als sind echte, fok­loris­tis­che Grup­pen­schöp­fun­gen, während Gospel Songs in der Mehrzahl kom­poniert werden.
  2. Die Bilder­welt des Spir­i­tu­als entstammt haupt­säch­lich dem Alten Tes­ta­ment, während die Gospel Songs sich gewöhn­lich auf den Lei­densweg Jesu Christi und die Botschaft des Neuen Tes­ta­ments beziehen.
  3. Durch den Ein­bezug von Jazz-Ele­menten sind Gospels rhyth­misch inten­siv­er, zupack­ender, vitaler als die meis­ten Sprituals

Die entschei­dende Begeg­nung der schwarzen religiösen Musik mit Jazz ereignete sich um 1920 herum. Sie bewirk­te einen Kirchen­musik-Boom, die es mit jedem Schlager aufnehmen kon­nte. Als Form bedi­ente man sich des Blues, Rum­ba, Mam­bo, Walz­er, Bal­lade, Boogie-Woogie.

Der zündende Funken für die Gospelmusik

Einen entschei­den­den Beitrag zur Ver­bre­itung von Gospels leis­tete Thomas A. Dorsey, Sohn eines Bap­tis­tenp­far­rers und ehe­ma­liger Blues­musik­er. Seine neue von ihm kom­ponierte blue­sige Kirchen­musik kon­nte auch in Noten ver­bre­it­et wer­den. Mit der Grün­dung von “Nation­al Con­ven­tion of Gospel and Cho­russ­es” ermöglichte er vie­len Sän­gerin­nen und Sänger eine Aus­bil­dung. Zu dama­liger Zeit wur­den viele der heute zu Stan­dards gehören­den Gospel-Lieder komponiert.

Viele kleinere Plat­ten­fir­men pro­duzierten immer neue Plat­ten und die lokalen schwarzen Radio­sta­tio­nen spiel­ten immer mehr Titel; neue Gospel­grup­pen wur­den gegrün­det. Der Erfolg liess nicht auf sich warten. Nach dem Krieg 1945 nahm auch das weisse Ameri­ka Notiz von der Gospel-Musik, als Mahalia Jack­son mit Ihrer Schallplat­te “Move On Up Lit­tle High­er” eine erstaunlich Auflage erlebte.

Tausende von kleineren und grösseren Grup­pen san­gen sich in die Herzen des Pub­likums. Einige wur­den berühmt, so z. B. Sam Cooke, der seine Kar­riere als weltlich­er Soul­star fort­set­zte. Die wohl her­aus­ra­gend­ste Sän­gerin der “Gold­en Age of Gospel ” wurde Mahalia Jack­son, die in Zusam­me­nar­beit mit Thomas A.Dorsey zum Welt­star wurde.